Urs van Osch

Das jetzt

Wenn ich meditiere, beim Spazieren, beim Joggen, bei eintöniger Arbeit oder wenn ich müde auf dem Sofa liege, erwache ich plötzlich und nehme wahr, wie ich ins Denken hineingezogen werde und mich von dessen Inhalt verzaubern lasse. Wenn wir mit der Absicht zu meditieren still dasitzen, werden unsere normalen Aktivitäten und Beschäftigungen unterbrochen. Das Denken geht jedoch oft weiter, obwohl es in den meisten Fällen für unsere aktuelle Situation nicht mehr erforderlich ist. Der Verstand denkt weiter, weil er das gegenwärtige das was gerade passiert, als unzureichend zu wenig spektakulär empfindet. Es gibt ein Gefühl des Mangels.
Das Denken in diesem Moment, wo wir nur dasitzen, ist nicht funktional. Es entsteht, um der Langeweile, des Unwohlseins, der Irritation, der Unzufriedenheit und so weiter zu entfliehen. Es ist eine Flucht vor der Gegenwart in eine imaginäre Vergangenheit oder Zukunft. Der Verstand glaubt, dass dort mehr los ist, dass dort Glück und Befriedigung zu finden ist.
Obwohl die aktuellen Gedanken, die uns von unserem jetzigen Moment weg in eine Vergangenheit oder Zukunft führen, harmlos erscheinen, ist viel Leiden in ihnen enthalten, verbunden mit Hoffnung. Das Denken ist in diesem Fall das Mittel, mit dem wir uns dem Jetzt widersetzen oder ihm entkommen. Anstatt dem Unbehagen deiner aktuellen Erfahrung durch Denken zu entkommen, solltest du dir des unangenehmen Gefühls bewusstwerden, das sich dahinter verbirgt. Anstatt dein Denken vorwärts in Richtung eines Objekts, einer Person oder einer Situation in der Vergangenheit oder Zukunft zu lenken, verfolge es in die entgegengesetzte Richtung: Zu dem Gefühl, das ihm zugrunde liegt.
Stell dich diesem Gefühl, anstatt vor ihm zu fliehen, so bleibst du in der Gegenwart. Wende dich den Gefühlen zu, heisse sie willkommen, nimm sie wahr, akzeptiere sie. Wenn du mit dieser aufmerksamen Offenheit da bist, kann es zu einer Verschiebung kommen. Du bist nicht länger in dem Gefühl verloren und ein Opfer davon. Das Gefühl fliesst durch dich, aber du fliesst nicht mit ihm. Du bist die unendliche absolute Präsenz, in der das Gefühl entsteht, existiert und in der es schliesslich verschwindet. Schlussendlich ist es nicht von Belang, ob es verschwindet oder nicht, da du dieses Unendliche, Einladende bist, das Nichts, in dem alles enthalten ist, in dem alles einfach passiert, immer in Frieden, unabhängig von der An- oder Abwesenheit von Gefühlen.
Das Verschwinden der Gedanken und der unangenehmen Gefühle ist nicht das Ziel. Gedanken und damit verbundene Gefühle werden immer da sein, kommen und gehen. Sie reissen dich jedoch immer weniger aus dem Jetzt heraus und sind nicht mehr zwanghaft. Du identifizierst dich je länger je weniger mit deinem Bewusstsein, in dem das Ego enthalten ist und aus dem diese tyrannischen Gedankenfluten entstehen. Das Denken ist befreit, es ist einfach da wie alles andere auch. Deshalb wird es klarer, effizienter, intelligenter und kreativer werden. Wir nehmen am Fluss der Erfahrung teil und reagieren auf alles, wie es erforderlich ist, ohne uns als individuelle Einheit vom Ganzen, von dem was wir wirklich sind, abzutrennen.