Urs van Osch

Faszien und Schmerzmedizin

Faszien, per Definition eine »Weichgewebekomponente des Bindegewebesystems, die den ganzen menschlichen Körper durchdringt«, sind im Grunde ein grosses Netzwerk, das als Teil des körperweiten Spannungsübertragungssystems gilt. Die Faszien spielen eine Schlüsselrolle in der Dynamik des Bewegungsapparats: Dank ihrer Fähigkeit, sich spontan an Belastung oder Dehnung anzupassen , tragen sie entscheidend zu Stabilität und Beweglichkeit bei. Der Anpassungsprozess beruht im Wesentlichen auf Stimulus und Antwort. Dieser Vorgang der Umwandlung des Reizes einer mechanischen Belastung in eine Reaktion auf der Zellebene nennt man Mechanotransduktion. Die eigentliche strukturelle Veränderung erfolgt als Ergebnis dieses Umwandlungsvorgangs und findet in der Praxis durch Anwendung einer manuellen Kompressionslast , durch Bewegung oder Dehnung statt. Die denkbare Auswirkungen dieses Prozesses auf die Gesundheit (auch auf psychisches Wohlbefinden) sind enorm. Die Rolle der gesunden Faszien für die Behandlung der altersbedingten Veränderungen des Körpers und damit verbundenen muskuloskelettalen Schmerzbeschwerden lässt sich nicht genug betonen.
Bis etwa zum 25. Lebensjahr bleiben die Faszien natürlich elastisch, selbst wenn man nicht gerade sportlich ist. Nur Hochleistungssportler, besonders von Disziplinen mit Kraftförderung, müssen sowohl als Vorbeugung von Verletzungen als auch zur Steigerung der körperlichen Stärke die Faszien regelmässig trainieren.
Ab dem 40.Lebensjahr beginnen wir die elastischen Elemente des Faszien Systems zu verlieren. Ohne gezieltes tägliches Faszientraining kann man den Deelastifizierungsprozess nicht aufhalten; die ersten muskuloskelettalen Schmerzbeschwerden beginnen. Es wird oft über «Abnutzungserscheinungen» im muskuloskelettalen System gesprochen. Sehnen- und Tendonsentzündungen häufen sich. Sehnenrisse treten häufiger auf, besonders nach Anstrengung der Muskeln ohne Aufwärmung oder Vorbereitunsgsphase wie zB. beim Skiausflug, Grümpelturnier, bei Beginn der Aktivferien und Garten- oder Bauarbeiten. Diese Verletzungen sind die Folge eines zunehmenden Ungleichgewichtes zwischen den noch jungen, starken Muskeln und den nicht mehr entsprechend elastischen Faszien. Zu Beschwerden mit dem gleichen Hintergrund gehören die allgegenwärtigen «Rückenschmerzen», sowie auch Schulter-, Nacken- und Kopfschmerzen. Die Wirbelsäule ist grob gesehen ein körpertragendes, komplexes Organ, bestehend aus vielen muskuloskelettalen Teilen. Die Faszienbahnen der oberen Extremitäten und damit die faszialen Elemente der Nacken- und Halsmuskulatur versagen normalerweise als erstes. An den Beinen sind die Knieschmerzen die Vorboten der beginnenden faszialen Deelastifizierung; nicht zuletzt wegen der seit Jahren andauernden Fehlhaltung infolge häufigen Sitzens. (Manche Schmerztherapeuten gar behaupten provokativ, dass sitzen gesundheitsschädigender als rauchen sei).
In dieser Altersgruppe ist ein Faszientraining als eine prophylaktische Massnahme zwar wertvoll aber noch nicht unabdinglich.
Ab dem 60. Lebensjahr wird tägliches Faszien Training zur Pflicht, ähnlich wie das Zähneputzen. Nicht gepflegte Zähne gehen mit allen bekannten Konsequenzen verloren. Ebenso verhält es sich mit den Faszien: nicht elastische Faszien belasten die Gelenke, wie etwa Karies die Zähne und führen damit zur übermässigen Abnutzung der Gelenke (also zur Arthrose – nicht zu verwechseln mit der Arthritis). Die Folgen sind Schmerzbeschwerden, Einschränkung der Mobilität und noch mehr Schmerzen. Verringerte Beweglichkeit verschlechtert nicht nur die Lebensqualität, sondern trägt auch zur Entstehung unzähliger Krankheiten im Alter bei.

Dr. med. Dariusz Kwiatkowski